by Ulrich Hemel
„Die größte Schwierigkeit der Welt besteht nicht darin, Leute zu bewegen, neue Ideen anzunehmen, sondern alte zu vergessen.“
Das Zitat wird John Maynard Keynes (†) zugeschrieben, der Brite war einer der bedeutendsten Ökonomen des vergangenen Jahrhunderts. Seine Einschätzung hat jedoch weiterhin ihre Gültigkeit und lässt sich vortrefflich auf den heutigen medizinischen Bereich insbesondere auf die Wundtherapie übertragen. Zweifellos ist die Versorgung gerade chronischer Wunden weiterhin eine große Herausforderung für Medizin und Pflege, aber doch wohl hauptsächlich deshalb, weil immer noch überwiegend traditionelle Therapieverfahren eingesetzt werden. Dabei bietet die moderne (hydroaktive) Wundtherapie die Möglichkeit, chronische Wunden erstklassig zu versorgen – und das auf einem Qualitäts- und Heilungsniveau, wie es in der traditionellen Wundversorgung nicht möglich ist.
Dennoch wird die klassische Versorgung weiterhin flächendeckend angewendet, obwohl die Heilungserfolge durch den Einsatz moderner Wundauflagen erwiesener Maßen wesentlich größer sind. Ein Grund dafür ist möglicherweise, dass die positive Beurteilung moderner Wundversorgung wegen der unzureichenden oder quantitativ nicht ausreichenden Datenerhebungen bislang nicht evidenzbasiert war. Doch nun rechtfertig eine „Metaanalyse zur Wirksamkeit moderner Wundbehandlung“ eine positive Bewertung: Der Untersuchung zufolge sollen die Heilungschancen unter Anwendung moderner Behandlungsmethoden sogar bei 52 Prozent liegen. Prof. Dr. Matthias Augustin, Direktor des Instituts für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, stellte die Ergebnisse seiner übergreifenden Studie Anfang Juni auf der „Konferenz Moderne Wundversorgung“ in Bonn vor. Für die Metaanalyse haben er und sein Team 170 publizierte Studien zum Thema moderne Wundbehandlung ausgewertet – darunter kontrollierte klinische Studien, aber auch kontrollierte/unkontrollierte Beobachtungsstudien wie etwa Fallberichte.
Doch wie kann es sein, dass bei der Wundversorgung weiterhin an den (medizinischen) alten Zöpfen festgehalten wird – und das wider besseres Wissen? Zum einen wird das Ergebnis der Metastudie noch nicht hinreichend bekannt sein. Und neben Wunsch und Verpflichtung der Medizin, die Patienten auf Grundlage der besten wissenschaftlichen Daten zu versorgen (evidenzbasiert), spielen natürlich die Kosten eine große Rolle. Diesbezüglich wird meist vorschnell argumentiert, dass die hochwirksamen Produkte der modernen
Wundbehandlung die Budgets der Ärzte/Krankenkassen und auch Patienten erheblich mehr belasten im Vergleich zum Einsatz der traditionellen Wundversorgung. Tatsache ist jedoch, dass das moderne Wundmanagement die Behandlungsdauer verkürzt, was die Kosten nachhaltig senkt und das alles bei erheblich besseren Heilungserfolgen: Laut Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) werden Patienten mit chronischen Wunden etwa zwischen 6 Monaten und 6 Jahren behandelt, was Gesamtkosten in Höhe von ca. 3 bis 4 Milliarden Euro pro Jahr verursacht. Gleichzeitig schätzt der Verband das Einsparpotenzial durch Prävention und Einsatz von moderner Wundbehandlung, insbesondere hydroaktiven Auflagen auf 1,5 Milliarden Euro jährlich ein (Quelle: Einsatz von hydroaktiven Wundauflagen 2011, BVMed). Ziel sollte es daher sein, das moderne Wundmanagement zu fördern, und zwar stationär und ambulant, also in Praxen, Krankenhäusern und in der Pflege.
Im modernen Gesundheitswesen sind Innovationen ein unabdingbares Überlebensprinzip. Wer also nicht auf Innovationen setzt oder sich von veralteten Ideen verabschiedet, wird sich als Marktteilnehmer auf Dauer im Gesundheitsmarkt nicht behaupten können. Sicher, Innovationen werden meist durch knappe Mittel ausgebremst. Daher bedarf es eben Verfahren, die die politische und gesundheitswirtschaftliche Relevanz von Innovationen besser als bisher erfassen. Zum anderen müssen rechtliche und abrechnungstechnische Hindernisse aus dem Weg geräumt und flexible Preiskalkulationen sowie bedarfsgerechte Abnahmemengen zugelassen werden. Der BVMed sagt dazu: „Nicht die Produkte, sondern die Prozesse müssen verbessert werden.“ Daraus folgt zwingend, dass Medizin und Gesundheitswesen es den Patienten, deren Genesung und Wohlergehen schlichtweg schuldig sind, entsprechende Innovationen voranzutreiben und somit neue Wege zu beschreiten.
Autor: Prof. Ulrich Hemel